phil_i_pp

Philipp L. · @phil_i_pp

15th Mar 2014 from TwitLonger

Martin Heideggers „Schwarze Hefte“ beweisen, dass „er“ ein Antisemit war. Ist es aber gerechtfertigt der Person Heidegger und damit auch seinem Werk dieses Stigma zu „verleihen“? Stellt man diese Frage, läuft die Antwort zumeist in eine Richtung, in der Person und Werk getrennt voneinander betrachtet werden sollen. Wenn aber ein bedeutender, weil kenntnisreicher Biograph wie Rüdiger Safranski auf beeindruckende Weise in seinen Büchern über Schopenhauer, Schiller, Nietzsche und eben auch Heidegger Leben und Werk in eine Interpretationskostellation bringt, die sehr fruchtbar ist: wie kann man dann diese positive hermeneutische Zusammenführung von Werk und Werdegang loben, andererseits aber die Person als autonom und irrelevant für das Werk hermetisieren, sobald sich toxische Einflüsse auf das Werk wie beispielsweise antisemitische Gedanken zeigen? Doch nur, weil der apologetische Reflex weiß: die erst gelobte Panoptik aus Werk und Biographie droht nun schädlich zu werden für das Bild des Denkers.

Aber ist nicht die Frage, die sich angesichts der „Schwarzen Hefte“ konkret stellt eine ganz andere? Schließlich ist das skandalisierte Faktum nicht eines, was man dem Leben Heideggers zurechnen müsste. Es wurde keine historische Tatsache offengelegt, über die vorher der Mantel des Geheimnisses gelegen hätte: keine Verfehlung ist publik geworden, weder eine persönliche noch eine politische. Vielmehr ist im Werk selbst etwas aufgetaucht, was, wie oben schon angeklungen, nur als toxic thoughts zu beschreiben ist: die Vergiftung einer an sich respektablen Modernitiätskritik durch in der Tat antisemitische Gedanken. Wie Safranski in einem kurzen Interview zur Veröffentlichung der SH ausgeführt hat, bleibe die Modernitätskritik als solche weiterhin „unvermindert aktuell“.

Heidegger deutet die Juden (und nicht nur „das Jüdische“) innerhalb dieser Kritik als eine Größe in der Seinsgeschichte: für ihn verkörpern sie das rechnerische Prinzip, d.h. die Rationalität: für Heidegger ist diese kein positives Merkmal, sondern ein Verfallsprodukt der Metaphysikgeschichte und die Gegenkraft des eigentlichen, d.h. besinnlichen Denkens, das er denjenigen zuspricht, die in einer „Welt“, d.h. einem (auch regionalistisch bestimmten) Sinnzusammenhang „verwurzelt“ sind; was auf die Juden nach Heideggers Ansicht nicht zutrifft. Damit gibt er gleich zwei klassiche antisemitische Urteile über die Juden wider: das rechnerische (gewöhnlich: das kaufmännische) Talent sowie den Kosmopolitismus (negativ gewendet: die Heimatlosigkeit oder Wurzellosigkeit).

Welches Resüme bleibt also zu ziehen? Die Behauptung des französischen Heidegger-Kritikers Emmanuel Faye, Heideggers Philosophie sei im Kern antisemitisch (und nationalsozialistisch), weshalb er gerade die SH ans Ende der Gesamtausgabe seiner Werke gestellt habe, ist infam und falsch; wobei jedoch auch die Aussage Silvio Viettas, eines Heideggerianers, Heideggers Antisemitismus sei frei von jeder rassischen Dimension, nicht eindeutig bejahbar ist. Die Seinsgeschichte ist der immanente Interpretationshorizont, in dem alle Aussagen Heideggers der späten Jahre gesehen werden müssen, also auch seine antisemitischen Gedanken: was sie in der Tat relativiert. Trotzdem muss angesichts der Übernahme der angesprochenen rassisch und kulturell konnotierten Klischees ab jetzt gelten: auch in Puncto Antisemitismus hat Heidegger (leider) keine weiße Weste mehr.

Quellen: Safranski: http://bit.ly/1kusprr, Faye: http://bit.ly/1d5Q9gr, Vietta: http://bit.ly/1eBtfgP)

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