TS_Palm

TS_Palm · @TS_Palm

16th Jun 2017 from TwitLonger

Heute ist im Alter von 87 Jahren der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl gestorben. Die Medien nennen ihn nicht erst seit heute den "Kanzler der Einheit".
So würde ich ihn nicht nennen. Es mag sein, dass ohne Helmut Kohl Europa und Deutschland nicht so wären, wie sie heute sind - aber ich finde auch nicht, dass alles toll war und ist, das kann ich auch nicht vergessen oder übersehen.

Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen, zur Wendezeit war ich 14 Jahre alt. 1990 wurde meinen Eltern "aus Sicherheitsgründen" empfohlen, mich aus der Schule zu nehmen. Ich fing ein Berufsvorbereitungsjahr im Möbelwerk an, weil ich gerne bastelte und mit Holz arbeiten wollte.
Irgendwann flogen aus den Geschäften alle Produkte, die man aus der DDR kannte, raus und wurden durch Produkte aus der BRD oder USA ersetzt. Dann kostete das Brötchen keine 5 Pfennig mehr, das kleine Bier keine 25 Pfennig mehr, das Brot keine Mark mehr und so weiter. Die Preise wurden schlagartig erhöht, aber es lag eine Art Hochstimmung in der Luft.
Kurz drauf fuhren die ersten Bekannten mit Autos ausm Westen rum, es wurden die ersten Firmen aus dem Westen, für einen Apfel und ein Ei wie man so schön sagt, aufgekauft. Die ersten Leute mussten aus ihren Wohnungen und Häusern ausziehen, weil plötzlich andere Leute die Eigentümer sein wollten, und die ersten Leute verloren ihre Arbeit.
Binnen 2 Jahren drehte sich die Stimmung komplett. Die Versprechungen der BRD-Führung nach blühenden Landschaften und dass es Niemandem schlechter gehen sollten, wurden nur teilweise eingelöst. Viele Menschen verloren ihre Jobs, mussten ihre Familie, Freunde und Heimat verlassen, um wieder Arbeit zu finden. Aber längst nicht alle fanden Arbeit. Und die blühenden Landschaften zeigten sich in blühendem Unkraut, dass auf den Höfen der geschlossenen Firmen oder auf den Gehwegen der leerstehenden Häuser wuchsen.

Nein, es war nicht alles schlecht in der DDR. Nein, es ist nicht alles schlecht in der BRD.
Aber selbst nach über einem Vierteljahrhundert gibt es noch immer die "neuen Bundesländer", der tariflich festgesetzte Mindestlohn und das Rentenniveau ist nicht genauso hoch. Die Politik behandelt die Menschen noch immer wie Menschen zweiter Klasse. Solange sich das nicht geändert hat, ist die Einheit nicht vollzogen.

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