"Populismus ist wie Pest im Kopf" #wirsindmehr


Auszug aus dem Werk Denken 4.0: Welt im Umbruch.
Was die 30 klügsten Köpfe eines globalen Think Tank über unsere Zukunft denken.

"Populismus ist ein weltweites Phänomen. Populisten bedienen sich überall auf der Welt der dreisten Lüge immer frecher und mit wachsendem Erfolg. Daher schämen sie sich schon längst nicht mehr, wenn sie dabei entlarvt werden. Ihnen ist die Wahrheit völlig egal, wichtig sind ihnen einzig Emotionen. Anstelle von Fakten setzen sie einfache emotionalisierende Einzelfälle, die sie verallgemeinern. Populismus lebt von protzen, pöbeln, poltern. Aber machen wir uns klar:

Populismus kann nur die Macht ergreifen, wenn die demokratische Politik versagt.

Titanic total

Der Zeitgeist lautet „Titanic total“. Es wird der Eindruck geschürt, unsere Gesellschaft steuert mit voller Fahrt auf den großen Crash zu. Populisten machen Panik pur: „Die EU zerfällt, der Euro verschwindet, Immigranten zerstören unsere Zivilisation, die Digitalisierung macht uns alle arbeitslos, die Rente reicht nicht…“ die Reihe ließe sich fortsetzen. Stets findet sich ein Einzelfall, der diese Thesen zu untermauern scheint. Der Brexit ist nicht zu leugnen, die Schwierigkeiten der EU nicht zu übersehen, die Integration fremder Menschen ist nicht immer leicht, der demographische Faktor und die Digitalisierung werden natürlich erhebliche und nicht nur positive Auswirkungen zeitigen.

Kaum etwas wird in Zukunft so sein, wie es einmal war. Aber das ist eine Binsenweisheit, die schon immer gegolten hat. Wir können die Vergangenheit nicht zurückholen, wohl aber die Zukunft gestalten! Genau dies ist die Aufgabe demokratisch gewählter Politiker, die mit Augenmaß und Sachkenntnis Grundlagen für die Zukunft schaffen und Weichen stellen.

Populisten, die kein Augenmaß haben und keine Faktenkenntnis besitzen werden dafür nicht benötigt. Dennoch findet populistische Politik unübersehbar Zulauf, weil sie so einfach ist wie die „Lindenstraße“.

Populismus zeichnet überall auf der Welt die Mär vom „guten Wir“, das sich gegen das „schlechte Fremde“ wehrt. Das bedrohte Paradies schützt sich vor fremden Parasiten. Der „böse Feind“ bedroht die gute Sache. Dazu gehören die Elite, die Presse, Kritiker und vor allem alles Fremde. Diese Angstmacherei setzt auf den permanenten Ausnahmezustand und die fortwährende Eskalation.

Hetze am Rande des Legalen

Dabei stilisieren sich die Populisten durch aggressive Rhetorik ständig selbst zum Opfer. „Das Böse“ greift an und „das Gute“ muss sich ständig wehren. Die Verrohung der Sprache greift dabei um sich, die Würde und Menschlichkeit treten in den Hintergrund.

Diese dauernde Spaltung der Welt in „das gute Wir“ und „das böse Andere“ vergiftet die Welt. Jedes Sachthema und jede politische Frage wird zu einem Kampf von Gut gegen Böse hochstilisiert. Die Blaupause hierfür sind die Hollywood-Blockbuster. Es gibt nur schwarz und weiß, keine Nuancen, keine intellektuellen Auseinandersetzungen, keinen demokratischen Streit. Ein Mann sieht rot, Terminator oder Conan der Barbar heißen diese Mythen in Hollywood, die heutigen Namen auf der politischen Bühne sind jedem klar, der es wissen will.

Aber was ist, wenn der Film zuende ist? Bislang gibt es für das Ende eines populistischen Regimes nur eine welterschütternde Blaupause: der zweite Weltkrieg. Damals wurde „first“ als „über alles“ formuliert.

Narzissmus ist die Wurzel des Übels

Die Anführer der populistischen Bewegungen sind stets narzisstische Erfolgsmenschen. Populistische Parteien und Regime sind auf eine einzige Figur konzentriert, die als „Superman“ bzw. „Superwoman“ stilisiert werden.

Leider sind in einer zusehends komplexeren Welt, die immer unübersichtlicher wird, viele „demokratische Zuschauer“ auf der Suche nach „Superhelden“, die sich um ihre Welt kümmern.

Teufelskreis

Das Teuflische daran ist: Dieses Spiel funktioniert umso besser, je schärfer der vermeintliche „Held“ von Politikern, Medien und Öffentlichkeit angegriffen wird. Jede Kritik wird im Stile von „Die Wahrheit muss gesagt werden“ weggewischt, und damit der Eindruck erweckt, der „Held“ stehe für Klarheit und Wahrheit, während der Rest auf Lug und Betrug setze.Es entsteht eine Wechselwirkung, die dazu führt, dass jedes Argument, jeder Widerspruch, jede Aufdeckung einer Lüge, jeder Versuch einer sachlichen Auseinandersetzung den Populisten hilft, ihren Opfermythos zu stärken. Es besteht die Gefahr einer Teufelsspirale, wie ihn die Welt erst einmal bis zum bitteren Ende in Form des zweiten Weltkriegs erlebt hat.

Kritik ist Kern der Demokratie

Kritik stellt ein Kernelement jeder Demokratie dar, aber nicht im Populismus. Kritikunfähigkeit und Paranoia machen Populisten unberechenbar und gefährlich. Sie sprengen aus Wut über eine Kränkung möglicherweise die ganze Welt, wenn es in ihrer Macht steht. Das ist offenbar ein Wesensmerkmal einer pathologisch-narzisstische Persönlichkeitsstruktur.

Sprache als Waffe

Populisten nutzen Sprache als Waffe. Sie setzen Personen und ganze Bevölkerungsteile permanent herab. Die Sprache ist gewaltbeladen, hetzerisch und kriegerisch; ein amtierender Regierungschef spricht in seiner Antrittsrede von „Massaker an Amerika“ und „Fabriken wie Grabsteine“.

Grundschul-Wortschatz

Dabei beschränken sich die Populisten auf den Wortschatz eines Grundschulabgängers, sprechen hochemotional, verwenden theatralische Gesten, setzen bewusst auf gezielte Beleidigungen an der Grenze zur Legalität und profitieren davon, wenn ihnen eine Welle der öffentlichen Empörung entgegenschlägt. Der Tabubruch gehört bei Populisten zum Standardrepertoire, etwa durch die Verwendung historisch belasteter Begriffe oder Verstöße gegen den Konsens einer liberalen Gesellschaft. Von ihren Anhängern werden sie genau hierfür geliebt.

Crash Rhetorik

Das Schlimme daran ist, dass es den Populisten durch ständige Wiederholung gelingt, ihre gewaltbeladenen Kampfbegriffe tatsächlich in die politische Diskussion, in die Parlamente und in die (sozialen) Medien einzuschleusen. Selbst seriöse Medien übernehmen allzu schnell die martialische Sprache, weil „knackige Headlines“ die Auflage steigern und die Einschaltquoten erhöhen. „Crash Rhetorik“ ist mittlerweile allgegenwärtig. Über die sozialen Netzwerk verbreitet sich der sprachliche Terror in die ganze Welt.

Populistische Politik lebt – genau wie die Blockbuster aus Hollywood – von den großen Gefühlen. Sie spielt mit den Ängsten und Vorurteilen der Menschen.

Demokratie schützen

Es ist die Aufgabe aller aufrechten und rationalen Menschen – nicht nur Politiker(!) – sich dem Populismus entgegenzustellen. Für den Ansatz „Wehret den Anfängen“ ist es allerdings zu spät, die Verbreitung ist längst gegeben. Aber sie ist nicht unaufhaltsam. Wir können den Populismus stoppen, bevor der Film zu Ende ist. Eine dafür entscheidende Maßnahme besteht sicherlich darin, ihm schlichtweg keine Bühne mehr zu bieten. Eine wehrhafte Demokratie hat die Pflicht, sich selbst zu schützen.

Mit demokratischen Mitteln an die Macht zu kommen, um die Demokratie abzuschaffen, dürfen wir nicht zulassen!

Es gibt kein Recht auf Toleranz für Intoleranz, kein Recht auf Demokratie für Populismus. Wer sich selbst aus einer Gesellschaftsordnung ausschließt, ist eben ausgeschlossen und kann nicht mehr an dieser Ordnung mitwirken." #wirsindmehr

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