Ein wenig Muße am Silvesternachmittag ist eine Gelegenheit, einmal meine Gedanken zu ordnen, über 2019 zu reflektieren und auf 2020 zu schauen. Zwischen mir und der Tastatur liegt ein Kater und will schmusen, aber das lässt sich gut kombinieren.

Robert F. Kennedy wird folgendes Zitat zugeordnet:

„Es gibt einen chinesischen Fluch, der da lautet: 'Möge er in interessanten Zeiten leben!' Ob wir es wollen oder nicht – wir leben in interessanten Zeiten …“

— und zweifelsohne gilt das erst recht für die jetzige Zeit. Wenn man sich die politische Landschaft anschaut, ob in Deutschland, den europäischen Ländern rundherum oder auch weltweit, dann kann einem eigentlich nur angst und bange werden, wie es ausgehen soll, wenn die politischen Trolle, Populisten, Nazis, Egoisten unser aller Zukunft bestimmen. Die Rolle der klassischen Massenmedien haben in der Propaganda längst die sozialen Netzwerke übernommen, und die Wirkung hat sich dadurch vervielfacht, scheint mir. Der Umgangston wird im Netz, und offenbar auch im echten Leben, rauher. Anonymität verleitet zur Verantwortungslosigkeit. Hass macht sich breit, und bei manchen gipfelt das in Angriffen auf Leib und Leben anderer.

Wenn man die Nachrichten aus der Wissenschaft verfolgt, dann wird einem auch klar, dass das, was wir lange Zeit für stabil und robust gehalten haben, nämlich unsere ganz reale Umwelt, dies schon lange nicht mehr ist. Der Klimawandel wird zwar immer noch als nicht vorhanden geleugnet, oder es werden andere Ursachen als unser eigenes Verhalten behauptet, oder es wird behauptet, dass wir sowieso nichts daran ändern können. Doch mit den immer heißer und trockener werdenden Sommern wird allmählich allen klar, dass wir hier einen Prozess beobachten, der schon längst in Gang gekommen ist. Und die Fakten sprechen dafür, dass wir selbst die Verursacher dafür sind.

Doch andererseits kann man auch beobachten, dass das nicht alles ist, was passiert. Die Klimaproblematik hat viele Leute motiviert, unsere Gewohnheiten zu hinterfragen und aktiv zu werden. Gerade die Jugend, der so viele Jahre lang vorgeworfen wurde, zu unpolitisch und hedonistisch zu sein, geht hier mit guten Beispiel voran und hat, wie ich denke, auch Erfolge in der Politik vorzuweisen. Und vielleicht hilft hier auch die traurige Tatsache, dass das Problem eines von wirklich globalen Ausmaßen ist und auch wir in der „Ersten Welt“ betroffen sind. Wer jung ist, kann es unmöglich ignorieren. Wer Kinder hat, kann es nicht wirklich ignorieren (zumindest nicht mehr lange) – und wer keine Kinder hat, eigentlich auch nicht.

Ich komme gerade vom 36c3, dem 36. Chaos Communication Congress in Leipzig mit dem diesjährigen Motto "Resource Exhaustion" (dt. Ressourcenerschöpfung – zum einen ein IT-Begriff, zum anderen natürlich auf das aktuelle Zeitgeschehen bezogen). Die vergangenen vier Tage waren wieder eine Erfahrung, wie Menschen in einer Gesellschaft respektvoll miteinander umgehen können. Nur für eine kurze Zeit, nur für ein paar Tausend Leute, nur für einen Ort und sicher nicht jederzeit und in allen Aspekten – aber in diesem Rahmen doch eine reale Utopie, wenn es so etwas gibt. Der Wiedereintritt in die Alltagsrealität kommt aber sicher noch. Es war spannend, mit Menschen zu sprechen, die konkrete Projekte betreiben, die das Potential haben, die Welt in der einen oder anderen Weise ein bisschen besser zu machen.

Privat war dieses Jahr ein sehr gemischtes. Papa ist im Sommer gestorben, und erst allmählich ist der Verlust „real“ geworden. Trauer ist ein langsamer und, wenn man wie ich da wenig Erfahrung hat, gewöhnungsbedürftiger Prozess. Gut getan haben mir der Zuspruch und die Unterstützung aus dem Freundeskreis – lieben Dank dafür. In beruflicher Hinsicht war das Jahr ausgesprochen spannend und erlebnisreich. Neben neuen Projekten in der alten Firma (die jetzt immerhin schon über 21 Jahre besteht) kam ja auch noch eine Neugründung hinzu, und auch da konnten wir uns richtig ins Zeug legen. Neu ist, dass hier berufliche und private Interessen mehr überlappen als ich das bisher kannte. So muss man zwar aufpassen, da zu unterscheiden, wo es notwendig ist, aber es ist gut, an etwas zu arbeiten, was man gerne macht und auch für sinnvoll und relevant erachtet.

Daher wünsche ich uns allen weiterhin „interessante Zeiten“, und zwar ausdrücklich nicht als Fluch, sondern als Chance, das Beste für alle aus der jetzigen Situation zu machen.

Wir sehen, hören, lesen uns.

Liebe Grüße – S.

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